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Landpartie auf der #rp19

Wir sind Dreißig
Wir sind Dreißig
2. April 2019
Auf der re:publica 2019 beschäftigten sich 6 Sessions direkt und unzählige andere peripher mit dem ländlichen Raum. Verwoben wurde das Thema mit Schlagwörtern wie Land- bzw. Stadtflucht, Smart Country, Querdenker oder schlicht mit der Digitalisierung. Diese Verbindungen sind nur logisch, schließlich befinden wir uns auf der größten im deutschsprachigen Raum stattfindenden Konferenz zum gesellschaftlichen Wandel durch die Digitalisierung. Ihre Heimat hat die re:publica in Berlin, weshalb viele der Sessions zum ländlichen Raum Bezug auf die Situation in Brandenburg nahmen.

Ländlicher Raum ≠ Ländlicher Raum

Das Brandenburg und der Berliner Speckgürtel momentan im Mittelpunkt der Debatte stehen, liegt an verschiedenen Aspekten: Orte, wie Gerswalde, Wiesenburg oder auch Werder (Havel) gelten als Wegbereiter für die Wiederbelebung des ländlichen Raums mithilfe a) den Chancen der Digitalisierung und b) der romantischen Sehnsucht nach Natur. Diese Orte teilen alle die Gemeinsamkeit, dass sie in der Metropolregion Berlin liegen. Doch im Gegensatz zur Hauptstadt finden sich hier Freiräume, günstige Mieten/Immobilien, ein direkter Zugang zur Natur und trotzdem ist man relativ gut angebunden, um zum Meeting oder zur Arbeit nach Berlin zu fahren. Diese Standortvorteile sind jedoch nicht überall gegeben. Der ländliche Raum in Deutschland nimmt laut dem Thünen-Institut rund 90% der Landesfläche ein und beherbergt etwa 47 Millionen Menschen, d. h. über die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat sich für ein Leben auf dem Land entschieden. Wo und wie dieses Leben dann konkret stattfindet, zeigt eine große Spannbreite: Vom 20-Seelen-Dorf bis zur Kleinstadt mit über 15.000 Einwohnern, vom Flachland bis zum Hochgebirge sowie von der Metropolregion bis zur Agrarregion.

Trendvulkan Dorfmitte

Quantitativ den ländlichen Raum und seine Bedürfnisse zu greifen fällt im Hinblick auf diese Skala schwer. Qualitativ dagegen gibt es einige Trends, die mehr oder weniger stark im ländlichen Raum stattfinden. Dazu gehören der demographische Wandel, d. h. die Überalterung der Bevölkerung, die Landflucht junger Menschen zum Studium oder zum Arbeiten in die Städte, mangelhafte Infrastruktur in Form von Mobilität, Internet, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten, … sowie eine wachsende Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen. Gepaart mit den eigenen Erfahrungen und/oder den Berichten aus den Medien ergibt sich so ein düsteres Bild vom Leben auf dem Land. Auf der re:publica wurde stets gepredigt, dass es Zeit für ein positiveres Narrativ ist, dass man die positiven Projekte und Erfahrungen nach vorne stellen sollte, um einen möglichen Wandel einzuleiten.

Einheimische vs. Zugezogene

Womit ich bei meinem Hauptkritikpunkt angekommen wäre. Die Diskussionen auf der re:publica waren einseitig geprägt – nämlich von der Sicht Berlins auf das Land bzw. von der Sicht der Städter auf die Einheimischen. In Brandenburg besteht zwar bestimmt Potenzial, dass Querdenker oder Digitalarbeiter aus Berlin mit ihren Ideen die Strukturen aufrütteln und damit manchen Gemeinden/Regionen eine Perspektive geben, jedoch denke ich nicht, dass dies verallgemeinerbar ist. Vergleichbar mit der Debatte um die Raumpioniere, wird hier die Perspektive und die Geschichte der Einheimischen vergessen. Denn gerade im ländlichen Raum gibt es viele engagierte Menschen, die seit vielen Jahren in Vereinen oder auf kommunaler Ebene versuchen, Missstände zu beseitigen und ein besseres Leben zu ermöglichen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es in den Dörfern oftmals nicht an Ideen mangelt, sondern es schlicht ein sehr komplexes Umfeld ist. Komplex im Sinne, dass es an vielem fehlt, dass viele Emotionen im Spiel sind und dass alles mit einer Vorgeschichte behaftet ist. Die Debatte „Einheimische vs. Zugezogene“ sollte gerade deshalb äußerst sensibel geführt werden, auch wenn sie auf den ersten Blick für einen Außenstehenden lächerlich wirken mag, ist sie für manchen Einheimischen hauptsächlich mit Verheißungen und Enttäuschungen verbunden.

Noch nicht komplett im Arsch

Dass die Debatte über den ländlichen Raum auf der re:publica Platz gefunden hat ist gut und richtig. Unzählige Forschungen und Initiativen in Deutschland widmen sich diesem Thema, versuchen Lösungen zu finden und Leuchtturmprojekte umzusetzen. Dazu gehört unsere 37 Mensch starke Truppe der Lokalhelden Gründerwerkstatt, die Neulandgewinner der Robert Bosch Stiftung oder die verschiedenen Förderprogramme das BMEL. Die Digitalisierung wird in diesen Prozessen definitiv eine Rolle spielen, doch ist sie nicht das alleinige Wundermittel. Das Engagement der Menschen vor Ort, ihre Perspektiven, Chancen und Möglichkeiten werden über die Zukunft des ländlichen Raums entscheiden. Wie sie am Ende die Techniken in ihren Alltag integrieren und welche Verbesserungen daraus entstehen, wird sich zeigen. Wichtig ist jedoch, dass man sich – egal, ob zugezogen oder einheimisch – immer mit Respekt für den Gegenüber begegnet. Mit Respekt für die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft.