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Stories 31: Eine Altstadt aus Plattenbau

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  1. Folge 31: Eine Altstadt aus Plattenbau Audiofish Stories 3:52
Architektur

Hört man das Wort Plattenbau, denken die meisten an einheitliche Wohngebiete an den Rändern ostdeutscher Städte. Jena Neulobeda, Leipzig Grünau oder Rostock Lütten Klein sind bekannte Siedlungen in der industriellen Bauweise des Plattenbaus. Diese Siedlungen, die heute ein gewisses Maß von Tristesse versprühen, waren zu ihrer Entstehungszeit sehr begehrt. Boten Sie doch im Gegensatz zu den verwahrlosten Altbauten fließendes Wasser, eine Zentralheizung sowie ein Bad mit Toilette und Wanne. Durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und dem großen Strom an Umsiedlern stand der Wohnungsbau sowohl in Ost, wie auch in West an erster Stelle. Der Plattenbau war in den Augen der sozialistischen Regierung das geeignete Mittel, um dem Mangel an Wohnraum zu begegnen.

Auch in der Hansestadt Greifswald entstanden Plattenbausiedlungen wie Schönwalde oder das Ostseeviertel, welche bis heute günstigen Wohnraum für die Bevölkerung bieten. Jedoch ist Greifswald noch auf eine andere Weise mit dem Thema Plattenbau verbunden: In den 1970er Jahren startete in der Hansestadt ein städtebauliches Experiment. Da sich in den vierziger und fünfziger Jahren die staatlich gelenkten Baumaßnahmen auf die Schaffung von neuem Wohnraum konzentrierten, war privaten Hausbesitzern der Zugang zu Baumaterial und Handwerkern erschwert. Obwohl die Häuser der Greifswalder Altstadt keine nennenswerten Schäden im Zweiten Weltkrieg davongetragen hatten, blieben sie meist unsaniert und verfielen mit der Zeit zunehmend. Diese Voraussetzungen führten zu dem experimentellen Ansatz, die Altstadt mit den Techniken des Plattenbaus neu zu gestalten. Ziel der Stadtplaner war es, das historisch gewachsene Ensemble der Altstadt und seiner Straßenzüge zu erhalten, jedoch den geschichtlichen Wert von einzelnen Gebäuden in den Hintergrund zu stellen. Ein kompaktes und homogen wirkendes Wohngebiet wurde geplant, in deren einheitlichen Wohnblöcken das Einzelhaus erkennbar bleiben sollte.

1974 erklärte man Teile der Greifswalder Altstadt zum „Aufbaugebiet“. Damit war die rechtliche Grundlage geschaffen, die Eigentümer der sich noch überwiegend in Privatbesitz befindlichen Gebäude zu enteignen. Es folgte ein Flächenabriss dem circa 270 Wohneinheiten zum Opfer fielen. Geschützte Baudenkmäler wurden zwar in die Planung eingebunden, aus heutiger Sicht schützenswerte Strukturen jedoch zum Abriss freigegeben. Ganze Straßenzüge, wie zum Beispiel zwischen Hansering und Loefflerstraße, wurden vollständig planiert. Von 1978 bis 1981 entstanden 340 neue Wohneinheiten und weitere 50 bis 60 setzte man instand. Für die Plattenbauten verwendete man modifizierte Elemente der Wohnbauserie 70, welches das am meisten verbreitete Plattensystem der DDR war. Die Fassadengestaltung wurde durch abgesetzte Vorsprünge, verschiedene Putzfelder oder Keramikverkleidungen sowie durch eine Vielfalt von Portalen aufgebrochen. Um den historischen Charakter der Hansestadt einzufangen, versah man die Bauten mit vorgetäuschten Giebeldächern. Das „Experiment Greifswald“ galt unter DDR-Fachleuten als gelungener Umgang mit verfallenen Altstadtgebieten, woraufhin in der ersten Hälfte der 1980er Jahre quer durch die Republik Plattenbauten in die Innenstädte integriert wurden. Während den Besuchern die ungewöhnliche Mischung aus „Platte“ und hanseatischer Architektur mal mehr oder weniger positiv auffällt, haben sich die Greifswalder längst an ihre neue Altstadt gewöhnt. Übrig geblieben sind nur noch Fotographien und Zeitzeugen, die die Erinnerung an die damaligen Straßenzüge wach halten und der Nachwelt vor Augen führen.