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Geschichte

Der Archäologe Heinrich Schliemann ist in die Geschichte eingegangen als Entdecker Trojas und wurde damit zum Vorbild einer ganzen Generation von Wissenschaftlern. Er verkörperte den klassischen Selfmademan, der als geschäftstüchtiger Kaufmann ein großes Vermögen aufbaute und dieses Vermögen dann nutzte, um autodidaktisch der Archäologie nachzugehen. Er verstand es sehr gut, sich und seine Arbeit in Szene zu setzen. In seinen autobiografischen Schriften, von denen er Auszüge gern auch wissenschaftlichen Arbeiten vorausgestellt hatte, entwickelt er ein Bild von seiner eigenen Person, welches dem Leser zeigen sollte, dass der Erfolg sein Schicksal war. Die Anekdoten ranken sich oft um die Bücher Homers, die ihn durch sein gesamtes Leben begleiteten. Bei seiner Suche nach Troja inszeniert er sich mit Spaten in der einen und Homers Ilias in der anderen Hand. Begonnen hat der Mythos Heinrich Schliemann im mecklenburgischen Neubuckow, wo er am 06. Januar 1822 auf die Welt kam. Ein Jahr später zog die Familie rund um den Pastor Ernst Schliemann nach Ankershagen, wo der Vater eine neue Stelle antrat.

„Wie alle oder fast alle Pfarrer hatte mein Vater neun Kinder und kein Geld, und da seine Zeit sehr stark von seiner Pflicht in Anspruch genommen wurde, war er nicht in der Lage, mir irgendeine Erziehung zuteil werden zu lassen.“, resümiert Schliemann später in seinem Amerikatagebuch. Die Mutter Luise kümmerte sich um das Haus und die Kinder, während der Vater verschwenderisch, immer verschuldet, grob und streitsüchtig war. Während den letzten dreien von insgesamt neun Schwangerschaften, nahm die Kraft von Luise Schliemann bedenklich ab. Da der Haushalt nicht mehr zu schaffen war, holte sich der Pastor eine Magd ins Haus, mit der er eine Affäre begann. Mit letzter Kraft schaffte es die Mutter die Magd Sophia Schwarz hinaus zu werfen. Ernst Schliemann tobte vor Wut und ließ das sowohl seine Frau, wie auch seine Kinder spüren. Kurz nach der Geburt von Sohn Paul am 13.01.1831, starb die Mutter mit nur 37 Jahren an Schwäche. Statt Trauer zu zeigen, holte sich der Pastor erneut Sophia Schwarz ins Haus und versprach ihr sogar die Ehe. Seine Gemeinde ließ sich das nicht gefallen und forderte beim Oberkirchenrat die Entlassung des Pastors, der im Februar 1832 sein Amt abtreten musste und 1838 mit seiner neuen Frau Sophia Schwarz nach Gehlsdorf bei Rostock zog. In den gleichen Zeitraum setzt Heinrich Schliemann in seiner 1880 veröffentlichten Autobiografie die Geschichte rund um ein Weihnachtsgeschenk des Vaters, welches sein Interesse an Troja für ihn begründete.

Obgleich mein Vater weder Philologe noch Archäologe war, hatte er ein leidenschaftliches Interesse für die Geschichte des Altertums. Oft auch erzählte er mir bewundernd die Thaten der Homerischen Helden und die Ereignisse des Trojanischen Krieges, und stets fand er dann in mir einen eifrigen Verfechter der Sache Trojas. Mit Betrübnis vernahm ich von ihm, dass Troja so gänzlich zerstört worden, dass es ohne eine Spur hinterlassen vom Erboden verschwunden sei. Aber als er mir, dem damals beinahe achtjährigen Knaben, zum Weihnachtsfeste 1829 Dr. Georg Ludwig Jerrer’s „Weltgeschichte für Kinder“ schenkte, und ich in dem Buche eine Abbildung des brennenden Trojas fand, mit seinen ungeheuren Mauern und dem Skäischen Thore, dem fliehenden Aineias, der den Vater Anchises auf dem Rücken trägt und den kleinen Askanios an der Hand führt, da rief ich voller Freude: „Vater, du hast dich geirrt! Jerrer muss Troja gesehen haben, er hätte es ja sonst hier nicht abbilden können“. „Mein Sohn“, antwortete er, „das ist nur ein erfundenes Bild.“ Aber auf meine Frage, ob denn das alte Troja einst wirklich so starke Mauern gehabt habe, wie sie auf jenem Bilde dargestellt waren, bejahte er dies. „Vater“, sagte ich darauf, „wenn solche Mauern einmal dagewesen sind, so können sie nicht ganz vernichtet sein, sondern wol unter dem Staub und Schutt von Jahrhunderten verborgen.“
(Schliemann, Heinrich [1881]: Ilios, S. 3 ff.)


Heute besteht kaum Zweifel, dass diese Anekdote erlogen ist, um ein gezieltes Bild von Schliemann zu entwerfen. Der recht eigenwillige Lebensweg vom erfolgreichen Kaufmann zum selbsternannten Archäologen wurde durch solche und andere Geschichten einem höheren Sinn zugeordnet, nämlich dem schon seit Kindertagen gefassten Entschluss Troja zu entdecken.

Wenn ich dieses Werk mit einer Geschichte des Lebens beginne, so ist das nicht Eitelkeit, das dazu mich veranlasst, wol aber der Wunsch, klar darzulegen, dass die ganze Arbeit mein spätern Leben durch die Eindrücke meiner frühesten Kindheit bestimmt worden, ja, dass sie die nothwendige Folge derselben gewesen ist; wurden doch, sozusagen, Hacke und Schaufel für die Ausgrabungen Trojas und der Königsgräber in Mykenae schon in dem kleinen deutschen Dorfe geschmiedet und geschärft, in dem ich acht Jahre meiner ersten Jugend verbrachte.
(Schliemann, Heinrich [1881]: Ilios, S. 1)


Seine größten Erfolge erreichte Schliemann in den Jahren von 1870 bis 1876. Entgegen der herrschenden Meinung suchte er am Ruinenhügel Hisarlık in der Türkei nach Troja - und wurde fündig. Spätestens im Sommer 1873 mit der Entdeckung des selbstbenannten Schatz des Priamos ist Schliemanns Arbeit in aller Munde. Auch darauffolgende Ausgrabungen in Mykene, wie eine große, kunstvolle Totenmaske, die er dem griechischen König Agamemnon zuschrieb, waren echte Sensationen, die in der Presse viel Aufsehen erregten. Für die Wissenschaft interessanter waren aber die bis dato unbedeutenden Kleinfunde, die Schliemann in den Fokus seiner archäologischen Forschung setzte. In Troja ging es vor allem darum, materielle Zeugnisse zu bergen, nach Sachgruppen zu gliedern, sie zeitlich einzuordnen und kulturgeschichtlich zu deuten. Um diesem Konzept gerecht zu werden, war es nötig Spezialisten zu engagieren. Schliemann verfolgte einen interdisziplinären Forschungsansatz, der im Vergleich mit der klassischen Archäologie schon revolutionär anmutete.

Die moderne Biografieforschung zu Heinrich Schliemanns Leben bewegt sich zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite der Mythos Schliemann, der aufgrund seiner bahnbrechenden Entdeckungen bei seinen Zeitgenossen als Held gefeiert wurde, der das öffentliche Bild des Archäologen bis in die Gegenwart prägte und damit eine ganze Wissenschaft popularisierte. Auf der anderen Seite wartet der fade Beigeschmack. Ein Heinrich Schliemann, der seine eigene Lebensgeschichte frisierte, um seinen Entscheidungen Sinn zu verleihen, der jeden Streit um seine Arbeit höchstpersönlich nahm und sein ganzes Leben hinweg nach Anerkennung suchte. Ob er diese Anerkennung verdient hat, ist jedem selbst überlassen. Vielleicht hilft bei der Auseinandersetzung mit seinem Leben ein Besuch im Heinrich-Schliemann-Museum in Ankershagen, welches seit 1986 im ehemaligen Elternhaus des Archäologen seinen Platz gefunden hat.